Zum Beitrag von Heinz Mertineit vom 19.05.2021

Zu dem schönen Foto passt etwas Lyrisches aus dem letzten Jahrhundert:

 

Ein heimlicher Opportunist

 

Still und unbemerkt

kam der kleine Vogel in meine Nähe,

angelockt von frischer, feuchter Gartenerde.

Für Augenblicke halt ich inne,

wende meinen Kopf behutsam.

Fast kann ich ihn erreichen

mit ausgestreckter Hand.

Gestern noch erfreute mich

aus einer längst entlaubten Traubenkirsche

sein perlend melancholisch vorgetragener Herbstgesang.

Nun hüpft der Wipfelsänger um mich her,

mit oliv und braun getönter Oberseite

ist er gut getarnt,

hebt sich kaum ab vom dunklen Untergrund.

Jetzt erblicke ich ihn von vorne,

rostrot leuchten Brust und Kehle mir entgegen.

Das Interesse dieses kleinen Konsumenten gilt indes nicht mir:

Unerwartet aus der Tiefe hoch gebrachte Wirbellose,

kleine Würmer und Insektenlarven,

lassen ihn den Boden konzentriert beäugen,

verheißen unverhofften Energiegewinn

zu später Jahreszeit.

Unterdessen wird die Stille jäh gestört

Durch helles Tixen, lautes Kickern:

In schnellem Fluge jagt ein Turmfalk über meine Gartenmauer,

derweil mein kleiner Gast – kräftig warnend –

in den Schutz der sicheren Hecke flüchtet.

Der Greif verlässt sich nicht auf Zufallsfunde,

sucht im Rüttelflug aktiv nach Beute

oder auch vom Ansitz auf dem Dache meines Hauses.

Seine Augen richten sich auf flinke Nager,

die in jedem Jahr meinen Garten gründlich unterwühlen.

Kleine Vögel – welches Glück – stehen nur sporadisch auf seinem Speisezettel,

sodass ich auf ein erneutes Treffen

mit dem wenig scheuen Wintergast wohl hoffen darf!

 

Bader, Andreas – 13.12.1999

Rotkehlchen auf frisch gegrabener Gartenerde

Halle / Westf. 04.12. 1999

 

 

 

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